Es mit meinem Brief an Dich hat es in diesem Jahr ein bisschen gedauert, und das hat nichts mit der derzeitigen Weltenlage im Großen oder Kleinen zu tun, sondern mit dem was ich dir schreiben möchte.
Es geht um die Anerkennung der „Anderswelt“, um die für mich bestehende Tatsache, dass es mehr gibt, als wir Menschen sehen, hören, riechen, tasten und schmecken können. Mich zu outen fällt mir nicht schwer, aber Worte für DAS zu finden, was ich in den letzten Jahren immer wieder erleben durfte, ist nicht einfach. Es war ein langer Weg, bis ich begreifen und akzeptieren konnte, dass es außerhalb meines Alltagsbewusstseins Wesenheiten und Kräfte gibt, die wirken und die ich immer mehr in mein Leben einladen kann. Dieser Prozess ist keineswegs abgeschlossen, ich bin sicher, dass sich noch viele Türen öffnen werden. Unsere Vorfahren haben über viele Jahrhunderte hinweg jeden Tag mit dieser „Welt“ gelebt. Haben sie angerufen, haben um Schutz und Beistand gebeten, haben zum Dank Gaben geopfert und sind diesen Kräften mit Demut und Respekt begegnet. Heute gibt es diese Lebensweise nur noch bei den wenigen indigenen Völkern und auch dort ist sie durch Umweltzerstörung, Landraub und die Gier nach Macht und Geld bedroht. In Europa wurden durch die Christianisierung unser schamanischen Wurzeln vor langer Zeit zerstört. Die Sehnsucht der Menschen nach dieser Anbindung ist aber gerade in unserer jetzigen Alltagswirklichkeit deutlich zu spüren. Deshalb ist es offensichtlich für mich jetzt an der Zeit, darüber zu schreiben. Es reicht nicht mehr, in einer Gruppe von Gleichgesinnten Erfahrungen und Erlebnisse auszutauschen in der Gewissheit, dass ich von den Anderen verstanden werde.
Nach meiner Shiatsu-Ausbildung und in den darauf folgenden Jahren konnte ich mehr und mehr meine Wahrnehmung verfeinern. Ich habe begriffen, dass mir in meinem Leben zuvor nur der Zugang zu dieser energetischen Ebene fehlte. Es ist bekannt und wissenschaftlich mehrfach bewiesen, dass wir Menschen in unserem Alltagsbewusstsein nur einen geringen Teil unserer Wahrnehmungsmöglichkeiten nutzen, dass wir sie aber schulen und immer weiter verfeinern können. Wir alle kennen Augenblicke, in denen sich unsere Wahrnehmung plötzlich verändert, erweitert, losgelöst oder grenzenlos wird. Es sind häufig Momente der Schönheit, der Harmonie, der Erhabenheit, der Stille oder der Ekstase und sie berühren uns in der Tiefe unserer Seele. Wenn unser Verstand für einen Augenblick die Kontrolle aufgibt und wir uns mutig und im Vertrauen öffnen, entsteht Resonanz und Verbundenheit. Ein ergreifendes Glücksgefühl durchströmt uns. Wir sind sicher, dass das, was sich jetzt gerade zeigt und was wir in solchen Momenten erkennen, wahr, richtig und gut ist.
Auch ich habe solche wunderbaren Situationen immer wieder erlebt, aber sie waren fast immer zufällig. Viele Jahre war mir nicht klar, was genau in solchen Momenten passiert und ich wäre auch gar nicht auf die Idee gekommen, sie bewusst in mein Leben zu holen.
Das hat sich geändert, als ich mich entschieden habe, die Natur mit all ihren Wesen zu meiner „Lehrmeisterin“ zu machen. Kein Mensch, kein Guru, keine Ideologie, keine Religion keine wie auch immer geartete Weltanschauung sondern Pflanzen, Tiere und alles was IST, sichtbar oder unsichtbar, haben mich in den zurückliegenden Jahren gelehrt. Dabei sind die Naturkräfte, die Wesen, Ahnen und Geister der Anderswelt weder gut noch böse aber absolut bereit sich zu zeigen sie sind universel und wahrhaftig. Unser offenes Herz jenseits aller VOR-Stellungen, unsere Wertschätzung, Demut und Wahrhaftigkeit sind die Pforten, die uns in diese Welt führen. Der Austausch mit der Natur, mit dem Baum in unserem Garten, mit einer Pflanze am Wegesrand lässt uns erkennen, dass wir ein Teil der Natur sind. Das wir mit ihr in Beziehung treten können und sie jenseits von jeglicher Esoterik unsere Verbündeten sind. Wir erkennen, wir sind nicht allein, wir leben in einem Netz, sind selber ein Teil davon und können in dieser Verbindung Erkenntnisse und Einsichten gewinnen, können unsere Fragen und Sorgen teilen.
Ich bin sehr glücklich, mit dem Wissen darum leben zu dürfen und es gibt für mich nur eins zu tun. Dranbleiben! Meinen Werkzeugkoffer weiter zu füllen und zu üben, immer und immer wieder. Das ist alles.
„Ich sehe was, was Du nicht siehst“, dieser Reim aus Kindertagen tauchte bei einer Begegnung mit dem Beifuß plötzlich auf. Ich hatte ihn gefragt, worüber ich in diesem Jahr in meinem Shiatsubrief schreiben soll. Die Antwort war klar, überraschend und unmissverständlich.
Ab Februar des nächsten Jahres ist meine Arbeit als Sozialarbeiterin getan. Ich freue mich natürlich auf die inspirierenden und schönen Begegnungen mit den Menschen, die weiterhin in meine Shiatsu-Praxis kommen. Auf intensive Gespräche mit ihnen und auf Shiatsu-Berührungen, die wohltuend und authentisch sind. Ich freue mich aber auch auf eine Zeit, in der ich mit viel Muße „Mutter Natur“, mit all ihren Wesenheiten begegnen darf. Auf eine Verbindung mit dem Netz des Lebens das mich trägt, nährt und wachsen lässt.
Ich wünsche Dir von ganzem Herzen viele Momente, in denen dein Verstand stillsteht und Du spürst, dass dieser Augenblick „heilig“ ist.
P.S.: mein Buchtipp zum Thema: „Schamanische Rituale“ von Svenja Zuther, BLV Buchverlag