Es begann Ende letzten Jahres auf einem schamanischen Seminar im Kudra-Haus.

 „Pflanzen und Tiere verschwinden, wenn wir ihnen unsere Aufmerksamkeit entziehen. Wenn wir sie nicht mehr wahrnehmen, nicht beachten. Sie verschwinden für immer von unserem Planeten und wir merken es nicht einmal“. Dieser Satz der Ethnologin und Kunsthistorikerin Claudia Müller-Ebeling hat mich getroffen, mich berührt und mir wurde bewusst, dass er absolut wahr ist.

Am gleichen Tage fiel mir dort im Shop das Buch von Ralp Müller, „Die geheime Sprache der Vögel“, in die Hände. Schon beim Durchblättern war zu erkennen, mit welchem Herzblut es geschrieben war. Der Autor beschreibt nicht, wie vielleicht vermutet, die unterschiedlichsten Vögel. Nein, sein Buch leitet zum Beobachten und Wahrnehmen in der Natur an. Beim Lesen erinnerte ich mich an die Zeit meiner Kindheit auf dem Lande. Damals habe ich Hasen und Rehe verscheucht, wenn sich die ortansässigen Jäger zur Treibjagd rüsteten, und ich habe Vögel beobachtet. Stundenlang und immer wieder, mit und ohne Fernglas. Als ich 13 Jahre alt war zogen wir fort. Todtraurig habe ich mich im Wald und auf den Feldern von „meinen“ Vögeln verabschiedet. All das war mir einfach verloren gegangen und ich hatte es nicht einmal bemerkt. Mein Entschluss stand fest: Die Tiere und besonders die Vögel sollen in meinem Leben wieder einen festen Platz haben.

Ich sage ja immer: „Das Leben sorgt sehr gut für mich und führt mich weise und unaufhörlich.“
Der gelernte Gas-und Wasserinstallateur Meister Ralph Müller hat nämlich jetzt eine Wildnisschule und bietet im Jahr jeweils eine Kanutour in Masuren und auf dem Yukon an. Hurra, da war es wieder, das pralle Leben. Ich brauchte nur noch zuzugreifen.

Mein Mann und ich waren fast 4 Wochen in Polen unterwegs und hatten viel Zeit, uns dieses wunderbare Land in aller Ruhe anzusehen. Wie immer haben wir in der Natur in unserem Auto geschlafen, sind unglaubliche Baumalleen entlang gefahren, haben stille, menschenleere Seen gefunden und Störche, Störche, Störche mit ihren Jungen mitten in den polnischen Dörfern bewundert. Dann kam unser „blind date“ mit Ralph und weiteren 2 Männern und 5 Frauen.  Weit im Osten an der weißrussischen Grenze ging es los. 12 Tage auf dem Fluss in 5 Kanus, beladen mit der kompletten Verpflegung, unseren Zelten, der Ausrüstung und unseren persönlichen Sachen. Ein Abenteuer und doch so einfach. Die Natur wild, kompromisslos und doch so tragend und nährend. Die Schwäne, Enten und Gänse mit ihren Küken, so niedlich und quicklebendig. Die Plätze so kraftvoll, urwüchsig und einladend. Der Himmel so hoch, unendlich weit und blau. Der Fluss so überraschend, herausfordernd, still und friedlich. Die Landsleute so gastfreundlich, gelassen und offen. 12 Tage und Nächte in einer Einfachheit, die wir in unserem Alltag kaum noch kennen. Den ganzen Tag draußen sein, Holz suchen und Feuer machen und auf dem Feuer kochen. Abwaschen mit Gras und Flusswasser, baden im Fluss und nur fürs Zähneputzen das mitgebrachte Wasser nutzen. Keine Toiletten und schlafen auf der Isomatte mit dem Duft und den Geräuschen der Natur.

Wir alle 10 haben wohl irgendwann auf unserer Reise daran gedacht, wie es wohl für die Siedler der vergangenen Jahrhunderte gewesen sein mag, in einem kleinen Boot einen Fluss zu befahren, der in ein völlig unbekanntes Land führt? Wieviel Mut und Zuversicht, wieviel Leidenschaft und Risikobereitschaft, wieviel Vertrauen in die eigene Kraft und in das Leben haben diese Frauen und Männer aufgebracht, um Neues zu entdecken. Oft war es der pure Kampf ums Überleben, der sie vorantrieb, eine Notwendigkeit und Konsequenz, die für uns als Mitteleuropäer kaum nachzuvollziehen ist. Doch wir alle haben dieses Potential in unseren Genen, wurzeln unsere archaischen Kräfte in diesen Pionieren, in unseren Ahnen aus der Jäger- und Sammlerzeit. Wir sollten uns dieser Ressource besinnen und uns erinnern. Wir sollten diese zutiefst menschliche Fähigkeit mobilisieren, denn wir brauchen diese Kräfte mehr als uns häufig bewusst ist. Neue Wege, durchgreifende Veränderungen, die jeden und jede betreffen sind unumgänglich, um die globalen Herausforderungen zu meistern. Wir sitzen alle im gleichen Boot und es gilt zu erkennen, dass uns das ewige Beurteilen und Trennen in eine absolute Sackgasse führt.  Nur wenn wir unsere Komfortzone verlassen und uns auf das Gemeinsame, das Verbindende  besinnen, können sich neue Türen öffnen und unerwartete Lösungen möglich werden. Dort im Uwaga-Land, im Unbekannten, habe ich gespürt und erfahren, dass es möglich ist, Vorstellungen und Vorlieben hinter sich zu lassen, ohne einen Verlust zu empfinden. Wir Menschen sind in der Lage, im gemeinsamen Tun Neues zu erschaffen. Jede und Jeder auf ihre/seine ganz eigene Art und Möglichkeit, aber immer zum Wohle aller. Dabei dürfen Missgeschicke und Fehler, Unwissenheit und Unvermögen nicht fehlen, denn wir sind nicht perfekt. Gerade die Momente des Lernens und Erkennens bringen uns und die Gemeinschaft weiter. Wir sollten uns trauen und stolz sein, wenn durch unser Fragen und Ausprobieren ein Wachsen möglich wird. Diese Reise zu mir, zur Natur und zu den Menschen um mich herum hat mich glücklich gemacht. Die Erkenntnis, dass wir alle dieses große Potential in uns tragen nährt meine Zuversicht, dass es uns gelingt, diesen wunderbaren Planeten zu bewahren.

Ich habe in diesem Urlaub eine Seeadlerfeder in einem Brennesselfeld gefunden. Der Weg war lang, schmerzhaft und herausfordernd, aber plötzlich war sie da. Schon viele Jahre hatte ich mir gewünscht, eine solche Feder zu finden. Jetzt lag sie wie ein Geschenk auf einem Silbertablett direkt vor mir. Ralph hat mir erklärt, dass es sich um eine Steuerungsfeder eines alten Seeadlermännchens handelt und dass für den Finder damit immer eine Aufgabe verbunden ist?

In meinem Shiatsu-Raum hat die schöne Feder jetzt einen zentralen Platz. Sie erinnert mich an das Uwaga-Land und an die Erfahrung, dass es glücklich macht, wenn wir die alten Pfade verlassen und uns auf neue, unbekannte Wege einlassen.

Für diese Reise, für mein Leben und die vielen neuen Möglichkeiten, die sich jeden Tag zeigen, bin ich unendlich dankbar. 

Halte Augen und Ohren und vor allem dein Herz  offen, denn die Geschenke des Lebens kommen häufig völlig unerwartet und überraschend. 

In diesem Sinne wünsche ich einen wunderbaren Sommer!