In diesen Tagen, in denen das Jahr seinen Sonnenkraft-Höhepunkt feiert ist es draußen auf einmal kühl, grau und herbstlich geworden. Mir  kommt es vor, als würde sich in der Natur die derzeitige politische Kälte, das Hauen und Stechen in Europa und der Welt abbilden. Gerade jetzt sollten wir doch das Licht und die Wärme des Sommers genießen, sollten in roten Schuhen tanzen und die Freude und Leichtigkeit des Lebens spüren. Unsere Tochter Carlotta war in den letzten Tagen auf dem Mittelmeer im Einsatz, um völlig schutzlose Kinder, Frauen und Männer in hoffnungslos überfüllten Schlauchbooten vor dem Ertrinken zu retten. Der kleine umgebaute Fischkutter „Seefuchs“ musste mit den 12 ehrenamtlichen HelferInnen die Mission abbrechen, obwohl die italienische Seenotrettungsleitstelle mehrere Flüchtlingsboote gesichtet und ihre Hilfe angefordert hatte. Grund für diesen Abbruch war die Kriminalisierung der Rettungsorganisationen, die Weigerung sie in italienische Häfen zu lassen und die Drohung das Schiff samt Besatzung festzusetzen. Wut, Trauer und Scham sind die Gefühle mit denen die Crew jetzt zu kämpfen hat. Sind sie doch ähnlich wie die „Aquarius“ vor ein paar Tagen und aktuell das Schiff „Lifeline“ in die derzeitigen politischen Mühlen geraten. Wenn ich Carlottas Berichten zuhöre wird einmal mehr deutlich wie sehr wir belogen werden, wie mit Halbwahrheiten Meinung gemacht wird. Carlotta hat unsere absolute Solidarität und ich bin fassungslos über Politiker, die mit Begriffen wie „Asyltourismus“ (Hr. Söder, bayrischer Ministerpräsident) agieren. Diese Menschen-Leben-verachtende Politik wird uns nicht dabei helfen die Flüchtlingsströme und die damit bestehenden Herausforderungen zu bewältigen.

Was bedeutet das für mich? Oft an solchen Stellen der persönlichen Betroffenheit halte ich inne. Prüfe mein Konsumverhalten, wie ist es um mein Mitgefühl, meinem Respekt und meiner Toleranz anderen Menschen gegenüber bestellt? Wie friedlich bin ich mit mir und im Außen? Wie mutig bin ich, wenn es darum geht eine Haltung oder Meinung durch zuhalten auch wenn es Gegenwind gibt. Bin ich bereit meine Komfortzone zu verlassen, mich zu engagieren oder Liebgewonnenes aufzugeben? Immer dann, wenn wir betroffen, berührt oder erschüttert sind, haben wir die große Chance zu wachsen. Bewusster zu leben, Nebensächlichkeiten los zulassen, Korrekturen in unserem Leben vor zunehmen oder endlich etwas umzusetzen, was wir schon lange vor uns herschieben. 

Korrekturen und Veränderungen hat es für mich im zurück liegenden Jahr schon einige gegeben. Völlig unvermittelt hat sich im Frühjahr mein gesamtes berufliches Leben gedreht. 

Es begann mit einem zweifachen Bruch meines Handgelenkes im Februar. Eine Operation und 6 Wochen Gips haben mit eine komplette Arbeitspause beschert. Mein großer Dank geht an die Frauen und Männer, die geduldig und mitfühlend auf ihre Shiatsu-Behandlungen bis Mitte April gewartet haben. Das Gefühl wirklich in Ruhe und Gelassenheit heilen zu können hat mir unglaublich gut getan. Herzlichen Dank! Hinzu kam jedoch im März ein nicht geplanter, kurzfristiger Umzug meines Büros von Harburg nach Eimsbüttel. 18 Jahre waren wir mit einem Team von 6 Sozialarbeitern vor Ort, dort wo unsere Klienten sind. Jetzt heißt es weite Arbeitswege zu fahren, erhebliche Anstrengungen sind nötig um Klienten treffen zu können und ein Arbeitsalltag ist zu bewältigen der alle belastet und dabei wenig effektiv ist. Die Umstellung hat Kraft gekostet, aber die Herausforderung dem Widerstand in mir keinen Raum zu geben habe ich angenommen und es ist bis heute gelungen mich nicht zu grämen. Licht hinterm Tunnel ist sichtbar. Wahrscheinlich sind wir Ende des Jahres wieder in neuen Räumen in Harburg. 

Eine andere Entscheidung habe ich selber getroffen, denn ab 2018 gibt es keine Schwitzhütten mehr in Südergellersen. Lange bin ich in mich gegangen aber das deutliche Gefühl, dass die Zeit als Schwitzhüttenleiterin für mich vorbei ist, hat mich entsprechend handeln lassen. 

Ich bin Volker Rosner-Horvath sehr dankbar für die intensive Zeit des Lernens und dem Gefühl der Verbundenheit. An einem eiskalten Wintertag im Februar haben wir am Feuer die 5 Jahre der Schwitzhüttenarbeit revuepassieren lassen, sie wertgeschätzt und uns versichert, dass wir eine gute Zeit „miteinander“ hatten. Ich freue mich jetzt mehr freie Wochenenden zu haben, was in Anbetracht meiner derzeitigen Arbeitssituation ein echter Gewinn ist. 

Ich freue mich an anderer Stelle Neues/Altes zu tun und zu lernen. Die Gemüsegenossenschaft WirGarten hat Einzug in unsere Küche gehalten. Seit Ende Mai gibt es wöchentlich frisches, biologisch angebautes Gemüse aus Ochtmissen. Es ist ein supergutes Gefühl etwas zu essen, von dem ich weiß wo es gewachsen ist und wer seine Arbeitskraft dafür eingebracht hat. Und es ist in diesen Zeiten ein befriedigendes Gefühl Teil eines Netzwerkes zu sein, dass innovativ und  professionell  Werte schafft, die der Umwelt und den  Menschen dienen. Eine zweite Bereicherung in mein Leben ist der Kontakt zur Ritualfrau Nana Nauwald. Sie lebt in unserem Dorf in Südergellersen und ich wusste von ihr, aber es hat über 25 Jahre gebraucht, bis die Zeit für das Öffnen dieser Tür bereit war. Nana ist über 70  und hat viele Jahre bei indigenen Völker in Kolumbien, Russland und Nepal gelebt. Seit 30 Jahren lebt und wirkt sie auf der Grundlage eines schamanischen Weltbildes, ist Künstlerin und Buchautorin  und ziemlich ego-befreit. Die rituellen Körperhaltungen, die in der Trance erfahren werden, sind ihr ein besonderes Anliegen, denn sie hat viele von ihnen zusammen mit der Begründerin Felicitas Goodmann erforscht und webt sie durch ein Ausbildungsinstitut in unsere Erfahrungswelt ein. In einer Körperhaltung öffnet sich durch die Trance, erzeugt durch Trommel oder Rassel, ein Erkenntnisraum, der im Alltagsbewusstsein verschlossen bleibt. Wie im Shiatsu und wie in der Schwitzhütte ist das Tor der Körper. Alle Wege die ich bisher gegangen bin und alle Erfahrungen die ich bisher gemacht habe werden in dieser „Arbeit“  bestätigt und weiter geführt. Darüber bin ich sehr glücklich und freue mich Nana endlich „gefunden“ zu haben.

Wenn ich an die vielen Fragen denke, die ich zu Anfang dieses Briefes gestellt habe, weiss ich auf die meisten auch jetzt noch keine Antwort, aber ich bin zuversichtlich, dass ich nicht in der Angst, der Resignation oder der Wut versacke. Ich bin sicher, dass ich dran bleibe dran an mir, an meinem Weg des Wachsen und am ach sooo schönem Leben.

Ich wünsche Dir, dass auch Du dran bleibst, an Deinem Leben, und immer mal wieder Lust hast  in roten Schuhen zu tanzen!

Herzliche Grüße